Wolfgang Steinert ist ehemaliger Bewohner einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung, Kuratoriumsmitglied bei Lebensarchitektur, selbstständiger Software-Entwickler und schreibt zur Zeit seine Masterarbeit im Bereich Software Engineering. Hier berichtet er über das besondere Profil von Lebensarchitektur und warum wir den Kindern und Jugendlichen in unseren Wohngemeinschaften mehr Mitsprache ermöglichen wollen.
Als wir 2014 Lebensarchitektur ins Leben gerufen haben, gab es viele Gründe, einen eigenen Kinder- und Jugendhilfeträger zu gründen. Jedes der Gründungsmitglieder brachte dabei eigene Vorstellungen und Ziele mit ein, die in unsere Profilbildung eingeflossen sind.
Ein Wunsch war jedoch bei allen vertreten und dieser bildet heute auch unser zentrales Merkmal: Die Kinder und Jugendhilfe war geprägt durch die Meinungen von Menschen, die die speziellen Anforderungen nicht aus erster Hand kennen. Der Großteil der Entscheidungen wurde und wird auch heute von Menschen getroffen, die selbst nie in einer solchen Einrichtung gelebt haben. Sowohl aktuelle Bewohner als auch Ehemalige werden selten gefragt, wo es Verbesserungspotential gäbe. Dabei sind es genau diese, die es aus erster Hand wissen. Das SGB VIII fordert zwar in den §§ 22, 74 und 80 ein Mitspracherecht der Betroffenen, dies bedeutet aber in den meisten Fällen nur ein Minimum an Mitbestimmung. Auch werden hier Ehemalige nicht mehr berücksichtigt. Ehemalige haben jedoch einen entscheidenden Vorteil: Das Machtgefälle zwischen Betreuten und Betreuenden fällt hier nämlich weg. Erst als Ehemaliger ist es wirklich möglich, auf Augenhöhe zu kommunizieren. Sobald Betreute aber diesen Status erreichen, ist ihre Meinung nicht mehr gefragt.
Diesen Zustand wollten wir ändern. Aus diesem Grund wird Lebensarchitektur im Kuratorium immer von einer Mehrheit aus Ehemaligen geleitet. Selbstverständlich lassen wir uns von Experten beraten und unterstützen, die Entscheidungen jedoch werden bei uns immer von Menschen getroffen, die diese besondere Situation selbst kennengelernt haben.
Dabei müssen wir jedoch trotzdem immer beachten, dass sich Ansprüche und Wünsche der Betreuten unterscheiden und auch im Laufe der Zeit ändern. Um hier nicht in einer „Betriebsblindheit“ zu enden, war es uns von Beginn an wichtig, auch die Kinder und Jugendlichen einzubeziehen, die aktuell in unseren Wohngemeinschaften leben. Für dieses Ziel haben wir ein mehrstufiges Konzept:
- Die Wohngemeinschaften halten regelmäßige WG-Besprechungen ab, bei denen Probleme und Wünsche besprochen werden können und auch gemeinsam Entscheidungen getroffen werden können.
- Die Wohngemeinschaften wählen eigenverantwortlich einen Sprecher aus ihrer Mitte, der auch von unseren pädagogischen Kräften unterstützt wird. Das erlaubt es, dass auch Kinder und Jugendliche, die sich bei der Vertretung ihrer Wünsche schwer tun, durch einen der Ihren unterstützt werden.
- Unseren Wohngemeinschaften wird immer ein Mitglied aus dem Kreis der Ehemaligen beiseitegestellt. Dieses Mitglied hält dabei sowohl den Kontakt zu den Fachkräften als auch bei gemeinsamen Unternehmungen zu den Kindern und Jugendlichen. Wir haben schon in der kurzen Zeit seit unserer Gründung die Erfahrung gemacht, dass Ehemalige hier ein besonderes Bindeglied darstellen, denn sie können mit allen Beteiligten auf Augenhöhe kommunizieren. Für die Kinder und Jugendlichen bietet ein Ehemaliger einen Ansprechpartner, der die eigenen Nöte und Sorgen selbst kennengelernt hat. Für die Fachkräfte dagegen ist es ein Mitglied der Vereinsleitung. So können auftretende Probleme häufig schon zu Beginn leicht gelöst werden.
- Wir Ehemaligen sowohl im Kuratorium als auch aus dem weiteren Kreis der Mitglieder stehen dem geschäftsführenden Vorstand jederzeit zur Verfügung, um Fragen und Probleme zu besprechen und dabei unsere besondere Sicht einzubringen, was auch gerne genutzt wird.
Mit diesem Konzept bieten wir ein möglichst hohes Maß an Mitsprache und sind in der Lage, das Leben in unseren WGs stetig zu verbessern.
Zusätzlich hoffen wir natürlich, dass unser Beispiel Schule macht und auch andere Träger noch stärker auf die Kinder und Jugendlichen eingehen. Ebenso freuen wir uns über Anregungen, unser Konzept noch weiter zu stärken.
Unser aller Ziel sollte es sein, Kindern und Jugendlichen in schwierigen Lebenslagen Hilfe zu geben. Und wer sollte es besser wissen, als eben diese Kinder und Jugendlichen?